43 Jahre California Sun Sonnenstudio


Luca Bognanni
Freier Autor, studiert an der Kunsthochschule für Medien mit dem Schwerpunkt Literarisches Schreiben
@lil_luciiii
Grafik: Sarah Wiebe
@sowiehiebenurmitw




43 Jahre California Sun Sonnenstudio

Es war April und die Waldbaumläufer schäkerten auf den zarten Knospen der Kastanie vor meinem Schlafzimmer. Die Tage begannen blau und früh; teaserten etwas, das sich nicht einlösen sollte, weil gegen 8 Uhr graue Schiffe vor der Sonne ihre Anker setzten. Dennoch war es warm und ich schlief die Nächte mit Kippfenster. Dass die Motten zurückwaren, bemerkte ich am Klicken, das sich einstellte, wenn sie gegen die Decke crashten. Es klang nach zerplatzender Luftpolsterfolie, nur runtergepegelt. Das ASMR der beginnenden Verwahrlosung. Eines Tages sah ich einige von ihnen an meiner Kleiderstange herumschwirren. Ich schlug mit einer Postkarte, die mir meine Mutter aus dem Siegerland geschickt hatte, auf die Tierchen ein, bis ich ein besonders schwerfälliges Exemplar an einem Hemdsaum zermalmt bekam. Sein Körper löste sich in Staub auf, der auf die Raufasertapete herunterrieselte wie Zigarettenasche. Das Gefühl von Kontrolle massierte für einen Augenblick meine Schläfen. Ich fühlte mich wie ein Ladekabel mit Wackelkontakt, das nach vergeblichen Versuchen endlich in eine Position gebogen wurde, in der, zumindest für ein paar Sekunden, der Strom flüssig hindurchfloss. Ich blickte auf die weinroten Prismen-Muster des Feincords. Erst jetzt bemerkte ich, dass es Karls Hemd war.

Ich heulte viel und wusste, dass er es nicht tat. Deshalb heulte ich noch mehr. Ich stand mittags auf und schaute Pornos, während ich Kaffee kochte. Die Kalksplitter aus dem Wasserkocher tanzten im Handfilter zum flachen Atem, der aus meinem Handy drang. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann es das letzte Mal geregnet hatte. Der Himmel war graues Milchglas; die Tage aufgequollen und schlierig. Ich schlug mittlerweile mit bloßen Händen nach den Motten. Einmal klatschte ich nach einem besonders fetten Insekt, das ich über meinem Bett entdeckte. Auf meinem Handy hatte ich gerade ein Bild von Karl herangezoomt. Er posierte in einem Vintage-Store in Brüssel, so wie es typisch für ihn war: Hände in die Hüften gestemmt, schiefes Grinsen, einen Fuß vor den anderen setzend, wie bei einem Tennisaufschlag. Er sah gut aus. Leichter Teint, wache Augen. An diesem Tag hatte er das Hemd gekauft, zögerlich und zaudernd, aber ich hatte ihn ermutigt, wie immer. Am Abend hatten wir Sex in einem Peripherie-Hotel, in dem es nach Desinfektionsmittel roch und danach auf dem kleinen Rechteck meines Handys eine Serie geschaut, die ich schon kannte, aber ich lachte über die vorhersehbaren Pointen laut und ausgelassen und alles in mir bebte. Ich schlug mit voller Wucht gegen den Falter, doch er entpuppte sich als aufgeplatzte Tapetenkörnung und meine Handfläche brannte scharf, als sie gegen die Wand krachte.

Zu Ostern schickte mir meine Mutter ein Paket mit Schokoladenhasen und einer Plastikpackung hartgekochter, industriell gefärbter Eier. Auf der beigelegten Karte stand: Frohe Ostern und liebe Grüße vom Camping Eifelblick, Mama. Mit Mottenresten an den Händen, pulte ich die Schale ab. Für ein Ei benötigte ich zwei Bissen. Ich wusste, wie abstoßend Karl das gefunden hätte, wie er geguckt hätte: mit diesem immerwährenden therapeutischen Verständnis, bei dem er die Stirn theatralisch zu Furchen wellte; ein Gesicht das nun zunehmend und unkaschierbar vom Ekel unterwandert wurde, vom Zusammenpressen der benetzten Lippen, dem strengen Gegeneinanderschieben der Augenbrauen. Ich heulte salzige Tränen auf das Eigelb und rülpste Ei-Aerosole in die Motten-Luft.

Ich kann das nicht gut erklären, aber der Gedanke an UV-Strahlung, mutierende Muttermale und irreversible Hautanomalien war plötzlich aufgeploppt und hatte nach Wochen des Stillstands meine Lebensgeister giftig angeschoben. Ich fuhr das erste Mal mit so einem Scheißroller. Karl hatte mir immer vorgeworfen, dass ich mich der neuen Urban-City-Mobilität verschloss und meinte damit vor allem, dass es mir generell und ganz grundsätzlich an Offenheit mangelte, mich auf Neues einzulassen. Auf Fußmärschen droppte er absurd kurze Fantasiezeiten in denen wir jetzt angeblich mit einem solchen Fahrgerät ans Ziel gelängen. Ich ließ mich selten auf den Spökes ein. Es war einer jener Stellvertreterkriege, der in Beziehungen wirksam wird, in denen die Kraft zur offenen Aussprache längst den destruktiven Dynamiken einer feigen Halbironie gewichen ist.

Die Straßen waren leer, der Himmel diesig. Die Knospen hingen rund und prall an den Ästen, doch sie sprangen einfach nicht auf. Der Wind nahm während meiner Fahrt kontinuierlich zu, sodass ich nur langsam vorankam. Die Luft war seltsam teigig und ein diffuser Schwefelgeruch schien sich in ihr auszubreiten. Ich parkte unter großen Leuchtbuchstaben: WELTNEUHEIT. JUBILÄUMSANGEBOT. SONNE 365 TAGE IM JAHR. Die bunten Capslocks hypten mich, so wie ich es gehofft hatte. Das Studio befand sich an der Außenseite eines Einkaufszentrums. Erst jetzt fiel mir ein, dass Feiertag war. Die elektrischen Schiebetüren der Ladenpassage waren zugesperrt, die Gänge dahinter erloschen, einzig das Studio knallte Neongrell aus dem Dunkeln. Ich musste daran denken, wie ich mal gelesen hatte, dass Sonnenbänke zur Bekämpfung von Depressionen entwickelt worden waren. In mir wucherte hingegen schlicht die Vorstellung einer von Leuchtstoffröhren herbeigeführten Rötung meiner Gesichtshaut.

Das Studio war komplett gefliest und von einem kokosnussigen Bodylotion-Flavour durchwirkt. An den Wänden schimmerten pinke LED-Schriftzüge, die neue Produktlinien bewarben. Der Autotune-Nachhall eines Post Malone Songs zitterte in der Luft. Von draußen pfiff der Wind gegen die Glasfassade, wie ein Störgeräusch. Hinter dem gekachelten Tresen stand eine junge Frau in schwarzem Crop Top und khakifarbener Parachute-Hose. Ich erkundigte mich bei ihr nach der stärksten Bank.

Ich kann dir die P9 empfehlen, sagte sie, die ist ausgestattet mit Titanröhren, Beauty-Light und Bein-Boostern für extra schöne Bräune auf den Fußrücken und Schienbeinen.
Außerdem ist ein Smartphone-Load integriert.
Ahja das ist ja super, sagte ich.
Sie lächelte.
Bist du neu bei uns?
Ich nickte.
Cool, ich bin Aylin, sie tippte auf das Namensschild, das an ihrem Top heftete.
Mein Kollege reinigt gerade die Bänke. Du kannst gerne noch solange in der Oase Platz nehmen.
Sie deutete auf einige Loungesessel im hinteren Studio-Bereich, die zwischen Plastikpalmen arrangiert worden waren.
Wir haben auch ganz neu einen Softeisautomaten, bedien dich da gerne, sagte Aylin einladend und ich taperte am Automaten vorbei in die Oase.  

Ich setzte mich einer älteren Dame gegenüber. Sie trug ein weißes Kleid mit floralen Prints, dazu Goldschmuck an den Handgelenken. Ihr Softeis tropfte auf die Fliesen, sodass sich eine Fuge allmählich mit cremigen Tränen füllte. Das schwerfällige Tropfen rhythmisierte die Szenerie und erinnerte mich in seiner strukturierenden Wirkung an EKG-Geräusche in einem Krankenzimmer. Karl hatte Eis gehasst. Er hatte Zucker im Allgemeinen gehasst und Kohlenhydrate im Speziellen. So wirklich mochte er nur City-Salat. Also Salat der Gastronomie-Franchise-Kette City-Salat, der in kleinen limettenfarbigen Schüsseln portioniert wurde und bei der sich Karl das Dressing separat einpacken ließ, um es zuhause abwiegen zu können. Eine rothaarige Perserkatze mit Knautschgesicht schlich über den Fliesenboden und verschwand hinter einer Plastikpalme neben der sich, den darauffolgenden Schlecksounds zu urteilen, ein Wassernapf befand. Nach einer Weile kam ein Bot aus dem Solarien-Bereich gefahren, der ein Mitarbeiter-Shirt trug.
Die Bänke sind tutto kompletto ready, sagte er.
Danke Sunny, sagte Aylin.
Ihr könnt dann rein, rief sie in unsere Richtung, aber bereits bei der letzten Silbe begann ihre Stimme zu bröckeln.

Ich peilte die Druckwelle im ersten Moment gar nicht, weil sich das Gefühl einer plötzlichen Erschütterung seit der Geschichte mit Karl ohnehin mehrmals am Tag bei mir einstellte. Taumelnder Magen, geometrische Abgründe; jeder Gedanke lag auf einer Falltür. Erst als in einer eigentümlichen Synchronität der Ereignisse die Perserkatze aufgekratzt zwischen den Palmen hervorsprang und der älteren Dame zeitgleich das Softeis aus der Hand glitt, kickte die Existenzangst in mein System. Hinter der Glasfront breitete sich der Nebel in schnellen Schüben aus; dickflüssiges schillerndes Grau pumpte sich aus unsichtbaren Schläuchen auf die Kreuzung. Die gegenüberliegende Häuserfront war bereits nach wenigen Sekunden nicht mehr zu erkennen. Aylin schlitterte zur Tür, in der Hand einen Schlüsselbund, an dem ein simpsonsgelber Emoji-Anhänger baumelte. Sie fingerte sowohl am Tür- als auch am Sicherheitsschloss herum, bis etwas einrastete. Der Anhänger bimmelte gegen das Glas, wie ein Glockenturm zur Mittagsstunde. Die Scheiben wölbten sich als seien sie aus Stoff, doch sie zerbarsten nicht.

Die Behörden meldeten sich etwa Anderthalbstunden nach dem Vorfall. In dieser Zeit hatten wir uns gegenseitig daran erinnert Ruhe zu bewahren. Die ältere Dame stellte sich als Helga vor und zog mehrere neue Softeise aus dem Automaten. Aylin und der Sonnenstudio-Bot Sunny arbeiteten mit Hochdruck daran, einen Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Ich hockte auf einem der Sessel, hatte das Handy beiseitegelegt und blätterte gedankenverloren in einer TV-Spielfilm des vergangenen Monats. Draußen hatte der Wind nachgelassen, mehr noch: er war voll und ganz versiegt. Ein hermetisches weiß-graues Gemäuer hatte sich vor unsere Scheibe gebaut.

Es hieß, man wisse nicht was es mit dem Nebel auf sich habe. Wir sollten keinesfalls das Gebäude verlassen, bis die Hintergründe geklärt seien. Aylin telefonierte mit einem hochrangigen Beamten und gab ihm unsere Personalien durch. Auf twitter trendeten allerlei Mutmaßungen. Von einer Chemiefabrik in unmittelbarer Nähe war die Rede, ebenso von einem missglückten Militär-Manöver. Am häufigsten wurde die Möglichkeit eines Terroranschlags gerüchtet. Klar war indes nur, dass einzig das Einkaufszentrum von der unbekannten Substanz verhüllt worden war. Die Videoaufnahmen, die in den sozialen Netzwerken kursierten, erweckten den Anschein, als habe sich eine kosmische Zuckerwatte um das Gebäude gesponnen.

Sie schicken ein Einsatzkommando, verkündete Aylin nach einem weiteren Telefonat mit einem Bot des Innenministeriums.
Wir sind wohl die einzigen im Gebäude.
Vorher geh ich aber noch bräunen, sagte Helga.
Natürlich, geh ruhig!, Aylin lächelte.
Wissen die mittlerweile was passiert ist?, fragte ich.
Nein, aber sie gehen von einem Naturereignis aus, whatever that means.
Ich nickte.  
Immer passiert mir sowas, murmelte Helga und verschwand im Solarienbereich.

Am Abend facetimete mich meine Mutter aus dem Reisemobilpark Kleve an, um sich meiner Unversehrtheit zu vergewissern. Die Verbindung hakte häufig, aufgrund des unzureichenden Campingplatz-WLANs, sodass Sätze mehrfach wiederholt werden mussten und meine Mutter schließlich mit halboffenem Mund und geschlossenen Lidern auf dem Bildschirm gefror. Zum Schlafen richteten wir es uns mit Handtüchern auf den Loungesesseln ein. Dabei sprachen wir kaum. Aylin schrieb unentwegt Nachrichten, Helga hatte die Katze, die auf den Namen Babybell hörte, mit Schnalzgeräuschen auf ihren Schoß gelockt. Immer passiert mir sowas, brabbelte sie, während sie Babybell über den speckigen Kopf strich. Dann kam Sunny um die Ecke gebogen und brachte Softeis für alle.
Voll lieb, sagte ich als ich das Eis entgegennahm.
Aylin blickte von ihrem Bildschirm auf und grinste.
De nada, sagte Sunny.
Für einen Moment schauten wir alle in Richtung Glasfassade, hinter der sich das Grauweiß in den Himmel türmte.
Als wären wir auf dem Grund eines zugefrorenen Sees und würden darauf warten, dass das Eis schmilzt, sagte ich und leckte am Softeis.
Ist echt so, sagte Sunny.

Ich träumte, wenig überraschend, unruhig und von Karl. Wir facetimeten, aber keiner redete. Stattdessen hatte er die Sicht auf die Frontkamera gewechselt. Ich sah, dass er sich in meiner Wohnung befand. Überall flogen Sachen rum und Motten. Ihr Klicken war zu einem Tackern mutiert. Ich hörte Karl angewidert Grunzen. Die Kamera schwenkte auf eine alte Unterhose, die auf meinem Laptop lag. Dann auf ein Loch im Spannbettlaken. So ging es immer weiter. Karl zoomte auf die Kalkbrocken im Wasserkocher, fettdurchtriefte Pizzakartons, ein Büschel Haare im Abfluss, das umgekippte Koffein-Shampoo in der Duschablage, Schokoladenkrümel auf dem Kopfkissen. Plötzlich fixierte die Kamera meine Bettdecke. Das Weiß der Decke war aus dem offenen Bezug gequollen, wie aus einer Wunde. Mit einem Mal riss Karl die Decke vom Bett. Die Kamera schwankte stark hin und her. Ich hörte Würgegeräusche, bevor sich das Bild stabilisierte: Dutzende bunte Eischalensplitter sprenkelten die Matratze. Ich wachte verschwitzt auf und starrte auf unsere graue Eisdecke.  

Am nächsten Tag saßen Helga und ich unter den Plastikpalmen und füllten Gewinnspiel-Seiten in alten TV-Spielfilm-Ausgaben aus. Irgendwann setzte sich Babybell zu uns und ließ sich streicheln. Aylin textete derweil mit den Behörden.
Also die sagen das dauert noch was mit der Bergung, sagte sie.
War ja klar, brummte Helga.
Wieso?, fragte ich.
Also die meinen, es kann sein, dass wir uns in einer Wolke befinden. Aylin rümpfte die Nase.
Ich check’s auch nicht so ganz, sagte sie, eine abgestürzte Wolke oder so.
Sie blickte auf ihr Handy.
Vielleicht aber auch ein Fehler der Autokorrektur, ich frag da nochmal nach.

Im Laufe des Nachmittags erreichte uns eine Drohne. Sie tauchte plötzlich aus dem Nebel auf und schwebte vor der Glasfassade. Dann ließ sie ein Paket vor die Tür fallen und verschwand. Wir haderten zunächst damit die Tür zu öffnen, doch Aylin erhielt Sprachnachrichten, die ihr versicherten, dass keine Gefahr bestand, solange wir nicht in die Nebelwand eintauchten, in diesem Fall allerdings, bestünde das bergründete Risiko, dass wir uns – beziehungsweise jegliches organische Gewebe – sofort auflösen würden.
Chillig haha, kommentierte Sunny, versicherte aber solidarisch, dass er bei uns bliebe bis wir alle hier raus seien.
Als wir die Tür aufsperrten, schien die Außenwelt von einer fundamentalen Stille durchdrungen. Der Nebel wirkte membranartig und auf eine Art hütend. Es schien mir schwer vorstellbar, dass sich dahinter noch etwas anderes befinden sollte. Eine andere Welt. Eine Kreuzung etwa, oder ein Rewe. Die Stille schwappte allmählich auch ins Studio, verfing sich in den Plastikpalmen, strich um die LEDs.
Das Paket beinhaltete Tiefkühlpizzen und Actimel-Fläschchen.
Wahrscheinlich, weil wir die Pizzen auf den Bänken backen können, meinte Sunny.
Und Actimel?, fragte ich.
Vermutlich um unsere Abwehrkräfte zu aktivieren, sagte der Sonnenstudio-Bot.
Ich glaub, die ist für dich. Aylin übergab mir eine Postkarte, die einen lachenden Jutesack zeigte. Auf der Rückseite stand: Liebe Grüße aus dem Sackmuseum Nieheim, sehr witzig und definitiv einen Besuch wert. Alles wird gut, Mama.

In den folgenden Wochen verteilten wir die Aufgaben. Etwa das Putzen der Bänke, das Sortieren der Zeitschriften oder das Rationieren unserer Vorräte. Die Drohne lieferte uns regelmäßig Pizzen und Actimel. Manchmal klemmten Postkarten zwischen den Tiefkühlpackungen, die mir meine Mutter aus verschiedenen Campingplatz-Regionen Nordrhein-Westfalens schickte. Die Behörden erreichten wir dagegen kaum noch. Aylins Handy war stundenlang auf Lautsprecher gestellt, aber es loopte sich einzig die gemafreie Warteschleifenmusik. Mit der Zeit kristallisierte sich eine Morgenroutine heraus, die darin bestand, dass wir die Tür öffneten und dem Nebel zugewandt meditierten. Bei der Arbeit hörten wir Internet-Radio oder True-Crime-Podcasts über die Studio-Boxen. Wir begannen auch damit uns mehrfach täglich zu sonnen, was zum einen, einen entspannenden Vibe entfaltete und zum anderen das Reinigen der Bänke rechtfertigte. Ich fand immer mehr Gefallen an den Solarien. Die P9 sorgte für ein Prickeln auf meinen Schienbeinen, das dem Zustand glich, der sich einstellt, wenn Gefühl in eine eingeschlafene Gliedmaße zurückkehrt. Manchmal nutzte ich auch die Megasun 8000 mit Hurricane-Röhren und Collagen-Boostern oder eine der Rainbow-Bänke. Ich genoss es in das weiße grelle Licht direkt hineinzuschauen, bis ich Augenflimmern bekam und meine Pupillen vor Intensität brannten. Danach betrachtete ich im Spiegel wie sich meine gerötete Gesichtshaut schuppte und sich das Innere eines Pigmentflecks zunehmend schwärzte. In diesen Momenten glaubte ich zu spüren, wie es in meiner Hirnrinde schwelte.

Morgen ist Jubiläum, sagte Aylin eines Abends.
Vom Studio, ergänzte sie.
Babybell hopste auf Helgas Schoß und ließ sich bereitwillig den Nacken massieren.
Cool, sagte ich, sollen wir was starten?
Was meinst du?, fragte Aylin.
Party?, ich zuckte mit den Schultern.
Find ich gut, sagte Helga, ohne von der Katze aufzuschauen.
Ay caramba!, rief Sunny.
Wir haben noch Werbe-Luftballons im Abbestellraum.
Das wär doch echt schön, ich nippte an meinem Actimel.
Ja, Aylin lächelte.
Man muss die Feste feiern wie sie fallen, sagte Helga und es erschien mir in unserer neuralgischen Lage zu Hundertprozent relatable.