Interview w/ Zukunfts*archiv


Jule & Tristan interviewen Miriam & Dina vom Zukunfts*archiv

zukunftsarchiv.org
download Tragtasche für feministische Zusammenarbeit


Jule und Tristan haben Miriam 2018 im Rahmen der Urbanen Liga, einem Bündnis junger Stadtmacher*innen, kennengelernt. Eine Ko-Forschung*, die während des ersten Treffens der UL unter anderem von Miriam konzipiert wurde, setzt sich mit der Frage auseinander, worauf Rücksicht genommen werden muss, um „Stadtmachen“ zu einer inklusiven und solidarischen Praxis zu machen (falls ihr euch diese Frage auch schon gestellt habt, schaut mal hier). Vor diesem Hintergrund kontaktierten Jule und Tristan Miriam mit dem Gedanken, über solidarisches Stadtmachen im Kontext der Koexistenz zu sprechen und erfuhren von dem jungen Kollektiv Zukunfts*archiv, von dem Miriam ein Teil ist. Als Kollektiv setzen sie sich mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen auseinander, um zu feministischen und sozial-ökologischen Gegenwarten und Zukünften zu gelangen. In unserem ersten kurzen Telefonat erzählte Miriam uns von der aktuellsten gemeinsamen Publikation des Zukunfts*archivs, der Tragetasche für feministische Zusammenarbeit, über die wir im folgenden Interview mit Miriam und Dina sprechen.

*Zweimal jährlich diskutiert die Urbane Liga stadtentwicklungspolitische Themen mit dem Staatssekretär für Bauen und Wohnen und weiteren Mitgliedern des Ministeriums. Die Themen aus den Denklaboren werden in Mikro-Forschungsprojekten vertieft. 







Jule: Wer seid ihr und was ist das Zukunfts*archiv?

Dina: Wir sind Miriam und Dina vom Kollektiv Zukunfts*archiv, inzwischen sind wir auch ein eingetragener gemeinnütziger Verein [zukunftsarchiv.org]. Alle Kollektivistas haben gemeinsam im Master Transformation Design [an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig] studiert und sich dort mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen auseinandergesetzt. Unser Kollektiv nimmt eine feministische Perspektive ein, wenn es darum geht, was sozial-ökologische Gegenwarten und Zukünfte sein können. Gemeinsam entwickeln wir Strategien und Wege, wie eben solche Veränderungen gestaltet werden können. Unsere Kollektivarbeit befindet sich dabei an der Schnittstelle von Gestaltung, Forschung und Aktivismus. Wir versuchen, diese gedanklichen und theoretischen Auseinandersetzungen in Form verschiedener Formate
wie Workshops, Ausstellungen, Lehrveranstaltungen, Publikationen und Experimente praktisch werden zu lassen.

Miriam: Wir sind eigentlich zu sechst. Je nachdem, wem von uns die folgenden Fragen gestellt werden würden, wären die Antworten andere, weil wir unterschiedliche Hintergründe und Schwerpunkte haben. Was uns aber eint, ist eine feministische Perspektive auf Veränderungsprozesse. Dina und ich sind also heute als Repräsentantinnen des Kollektivs da und freuen uns darauf, eure Fragen zu beantworten.

Jule: Danke euch. Ihr habt die Publikation Tragetasche für feministische Zusammenarbeit in eurem Kollektiv erarbeitet. Richtet sich diese an bestimmte Gruppen, Menschen oder wer kann sich der darin gesammelten Praktiken bedienen?

Miriam: Die Tragetasche lädt alle Menschen, die gemeinsam mit anderen tätig sind, ein, sie zu nutzen. Dabei ist sie so aufgebaut, dass Leser*innen kein Vorwissen benötigen. Es ist uns besonders wichtig, Zusammenarbeit aus einer feministischen Perspektive zu verstehen. So ist Arbeit nicht nur mit Lohnarbeit gleichzusetzen, sondern auch in ehrenamtlichen oder politischen Kontexten zu finden und schließt Sorge- und Reproduktionsarbeit ein. 

Tristan: Was sind für euch Merkmale einer gelungenen Zusammenarbeit? Und inwiefern unterscheidet sie sich vielleicht von dem, was wir in unserer Gesellschaft momentan als gelungene Zusammenarbeit oder als gelungene Arbeit sehen?

Dina: Ein Merkmal gelungener Zusammenarbeit ist für uns, dass Menschen die Strukturen erkennen, in denen sie arbeiten. Denn eine Gruppe kann nicht einfach darüber entscheiden, ob sie Strukturen hat oder nicht - denn bestimmte Strukturen sind immer da. Oft sind es gerade die informellen, zum Teil verinnerlichten Strukturen, also z.B. unsichtbare Hierarchien, Machtverhältnisse oder unausgesprochene Regeln, die die Zusammenarbeit beeinflussen oder dominieren können. Sich diesen Strukturen bewusst zu werden, macht sie sichtbar und damit veränderbar: Welche Arbeit wird wertgeschätzt? Hat jede Person und Position die Möglichkeit, Dinge anzusprechen? Es ist ein wiederkehrender Verlernprozess - sich immer wieder reflektieren, immer wieder neu definieren und allen ermöglichen, Sprecher*innen-Positionen einzunehmen und Machtunterschiede ansprechbar zu machen. Es geht darum, solidarische Strukturen aufzubauen, Kooperationen einzugehen, Aushandlungen stattfinden zu lassen und eine Streitkultur zu etablieren. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf dem Ziel allein, sondern auch auf dem Prozess selbst. 

Miriam: Für uns ist außerdem wichtig, dass nicht nur produktive Arbeit gesehen und wertgeschätzt wird, die als Maxime für Wachstum und Kapitalvermehrung gilt. Auch Sorgearbeit, also wie das Instandhalten von Webseiten, von Räumen, das sich gegenseitig Zuhören, füreinander Dasein, das Achtgeben auf mentale Gesundheit, soll sichtbar gemacht und als Arbeit anerkannt werden. Wenn Menschen zusammenarbeiten, ist es wichtig, dass es Raum für die Sorge umeinander gibt und Prozesse, um Machtasymmetrien aufzuzeigen und hinterfragbar zu machen.

Tristan: Ihr arbeitet ja selbst auch als Kollektiv zusammen und setzt euch mit Zusammenarbeit auseinander. Was für Lernmomente gab es da bei euch? Und gibt es trotzdem auch noch Schwierigkeiten, bei denen ihr vielleicht sogar auf eure Tragetasche zurückgreift oder euch darüber austauscht?

Miriam: Es gibt sehr viele Lernmomente. Ich glaube es ist wichtig anzumerken, dass alle Kollektivistas verstreut sind - wir leben in Hannover, Braunschweig, Brandenburg, in einem kleinen Dorf in Bayern und in Norditalien. Deswegen findet unsere Zusammenarbeit zu großen Teilen in digitaler Form statt. Wir treffen uns jede Woche im Plenum und arbeiten auch in kleineren Gruppen an Projekten - alles digital. In unserer Kollektivarbeit stoßen wir aber immer wieder auf Fragen, die für uns einen physischen Raum des Austauschens brauchen: Wie wollen wir solidarisch mit Geld umgehen? Wie steht es gerade um die mentale Gesundheit von uns allen? Wer hat welche Kapazitäten? Deswegen versuchen wir uns immer wieder in Persona zu treffen. Dabei ist die Terminfindung oftmals gar nicht so leicht, weil wir uns alle auch in anderen Tätigkeits- und Lohnarbeitskontexten befinden, die manchmal in Konkurrenz zur Kollektivarbeit stehen. Denn das Kollektiv allein trägt einfach noch nicht unsere Existenzen.

Dina: Mir fällt noch ein Lernmoment ein, in dem wir gerade stecken. Wir haben uns voll reingeworfen in den Wunsch, uns eine Struktur zu geben, ein gemeinnütziger Verein zu werden und uns für Fördergelder zu bewerben. Das heißt, wir sind abgetaucht in Themen wie Vereinsrecht, Finanztabellen, Paragraphen oder Pflichten eines Vorstands und Vorsitzender. Diese Strukturfindung, die wir als prekäres kleines Kollektiv nicht mit externen Personen wie Steuerberater*innen machen, frisst viel Zeit und Kapazitäten. Dieser Prozess hat uns aber auch motiviert, weil wir selbstbestimmt eine Struktur aufbauen konnten. Gleichzeitig sind in dieser Zeit Themen, für die wir brennen, in den Hintergrund gerückt. Gerade wollen wir wieder damit beginnen, zu unser thematisches und gemeinsames Lernen zu etablieren, einfach Texte zu lesen  und darüber zu diskutieren.

Jule: Für mich hat sich eben eine Frage ergeben, die ich noch anschließen wollte, als ihr gerade von den verschiedenen Formen von Arbeit gesprochen habt. Auf welcher Ebene würdet ihr eure Kollektivarbeit ansiedeln? Lohnarbeit, Tätigkeit oder Care? Könnt ihr das eingrenzen oder ist es von allem etwas?

Miriam: Es ist von allem ein bisschen, es ist vermengt. Sorgearbeit - verstanden als politisches Engagement, als Aktivismus, welche nicht entlohnt sind - ist auf jeden Fall ein großer Teil unserer Kollektivarbeit. Wir haben kleine Dinge, die sind bezahlt. Dementsprechend ist es Lohnarbeit, wenn wir für einen Workshop ein Honorar bekommen. Und dann ist da noch die Sorgearbeit um unsere Kollektiv-Strukturen: Wir haben unsere Website neu gestaltet, wir haben Strukturen aufgebaut, wir sorgen füreinander. Das ist auch viel Arbeit, die unsichtbar im Hintergrund passiert und vielleicht als Reproduktionsarbeit verstanden werden kann. Ich glaube, das ist das Spannende an Kollektiven und auch an eurer Initiative, dass es eben nicht nur Lohnarbeit ist. Und natürlich ist es manchmal auch problematisch, wenn vieles nicht entlohnt wird. Gleichzeitig entsteht aber auch mehr Raum und Wertschätzung für eben diese anderen Arten der Arbeit - für politische Arbeit, für die Sorge umeinander.

Jule: Ist ja im Prinzip auch so eine Art Vorwegnahme einer Neuorganisation von Arbeit an sich, dass diese Trennung vielleicht gar nicht so ganz klar zu machen ist. Schön, das umgesetzt zu sehen. Wir würden gern noch ein bisschen inhaltlich auf die Tragetasche eingehen. Da könnten wir über die Praktik der Support-Gemeinschaft reden. Vielleicht fangen wir damit an?

Miriam: Die Idee hinter der Praktik war die Frage, was machen Menschen, die vielleicht kein Kollektiv um sich haben, das eine*n selbst supportet. Eine Support-Gemeinschaft mit Freund*innen oder Kolleg*innen zu bilden bedeutet aufeinander zu achten - darauf, dass die andere Person nicht zu viele Überstunden macht, dass sie, wenn sie krank ist, wirklich zu Hause bleibt, dass es einen Raum gibt, im dem auch Wut geäußert werden darf. Das alles ist Teil unserer Praxis als Kollektiv. Wir supporten uns gegenseitig, weil es oft leichter ist, die Grenzen anderer zu verteidigen als die eigenen oder die Stärken in anderen zu sehen als in sich selbst. Uns war wichtig, dass die Tragetasche Praktiken enthält, die sowohl in Kollektiven funktionieren als auch in Arbeitskontexten, die manchmal feindlicher sind, weil sie hierarchisch sind und es viele Machtasymmetrien gibt.

Tristan: Ich finde es sehr spannend, dass die Tragetasche sich auch an die Menschen oder Verhältnisse richtet, in denen es vielleicht hierarchischer zugeht. Ihr schreibt auf eurer Website: "Wir suchen nach den utopischen Momenten in unserer Gegenwart, nach den Verschiebungen und Zwischenräumen, in denen sorgende, gerechte und nachhaltige Lebensweisen ausgehandelt werden.” Wie läuft diese Suche nach diesen Momenten? Was habt ihr für Initiativen oder Menschen kennengelernt und habt ihr vielleicht eine Anekdote aus eurer Arbeit?

Miriam: Bei der Suche ist uns immer wichtig, Ausschau nach Leerstellen zu halten. Momente, in denen wir das Gefühl haben, da fehlt was, vor allem die feministische Perspektive. Ganz oft ist schon theoretisches Wissen da, auch zur Zusammenarbeit. Es gibt verschiedene Positionen, die Arbeit, aber auch Ökonomie anders denken, oft aber in einem sehr wissenschaftlichen Kontext. Wir versuchen, dieses Wissen zu übertragen, Räume zu schaffen, in denen wir dieses Wissen übersetzen, vermitteln und gemeinschaftlich mit anderen darüber in den Austausch kommen.

Ausgangspunkt für die Tragetasche war beispielsweise ein Workshop zur Arbeit in transformativen Kontexten. Die Workshopgebende Agentur hat dort gesagt: “Irgendwie wollen, bei uns keine Frauen arbeiten, wir wissen aber auch nicht warum.” Da haben wir uns nur angesehen und hatten alle den gleichen Gedanken: "Wir glauben nicht, dass sich Frauen einfach nicht für diese Art von Job oder für diese Art von Büro interessieren, da muss etwas dahinterstecken.” Das haben wir als Motivation genommen, um uns genauer mit Arbeit auseinander zu setzen. Darüber sind wir auf Machtstrukturen und deren Eingeschriebensein in Arbeitskontexten gekommen: Wer kann eine gewisse Art von Sicherheit aufgeben zugunsten von Flexibilität? Wer muss sich um andere Menschen kümmern und kann dementsprechend nicht jeden Monat ein variierendes Gehalt bekommen oder unterschiedlich viele Stunden arbeiten? Wir haben einen kritischen Blick auf das Konzept “New Work” mit seiner proklamierten Flexibilität und Gestaltungsfreiheit geworfen: Welche Arbeitnehmer*innenrechte verlieren wir, wenn wir keinen festen Feierabend oder Urlaubstage haben? Wer wird dadurch ausgeschlossen, weil er*sie diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann? Aus dieser Perspektive ist die Tragetasche entstanden, weil wir diese Leerstelle identifiziert haben.

Dina:  Wir haben auch ein Bewusstsein über eigene Lücken entwickelt, die aufgrund unserer Position entstehen. In der Arbeit an der Tragetasche haben wir zudem mit Bestehendem gearbeitet - uns davon inspirieren lassen, daran angeknüpft und Dinge übersetzt. Es muss nicht immer alles neu erfunden werden, oftmals ist das Weiterdenken und Zugänglichmachen die Leerstelle. Wir sind sehr gut im Zerdenken von Dingen. Wir haben riesige Miro-Irrwege und Gedanken-Labyrinthe. Es ist schön, nach intensiven Denkprozessen wieder nach außen zu treten - wenn das Gedachte sich wieder kondensiert, klar wird und sich mit Impulsen von anderen verbindet. 

Vielleicht noch eine kleine Anekdote: In einem Workshop-Format fangen wir damit an, dass wir kurz erzählen, in welchen Kontexten wir tätig sind. Da blicken wir eben nicht nur auf die Initiative oder den Job, sondern auch darauf, wie wir wohnen, was geteilt wird und für wen wir Sorge tragen. Das verbindet alle, weil wir uns alle in diesen Beziehungen befinden. Und das macht in diesem Moment alle zu Expert*innen.


Tristan: Das gibt auch einfach die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Ich habe letztens nach drei Tagen Seminar an der Uni gemerkt, dass mein Gastdozent ein Jahr jünger ist als ich und wir irgendwie relativ ähnliche Interessen haben. Da merkt man, dass man gar nichts übereinander weiß, außer, dass er jetzt gerade mein Dozent ist. Das ist direkt so ein ganz verschobenes Verhältnis.


Dina: Ich glaube, das ist ja auch ein Stück weit diese Unsicherheit und dieses Festgelegte von: Du bist, was du arbeitest und das macht deine Expertise aus. Das beeinflusst und schmälert dann auch, was eine Person in dem Raum teilt. Gleichzeitig ist es ja auch ein struktureller Struggle. Und es ist so schön, wenn man einen Modus findet, in dem klar wird “Hey, erstmal sind wir ja alle berechtigterweise hier, wir wissen alle Dinge, wir bestreiten alle unser Leben” und dann kommen auch andere Formen des Austausches und der Zusammenarbeit zustande.


Tristan: Die nächste Frage ist ja schon zum Teil beantwortet worden. Welche Methoden, Praktiken und Geschichten haben euch bzw. helfen euch dabei, Denkmuster zu verlernen und Strukturen aufzubrechen? Ein paar habt ihr schon angeteasert, aber gibt es da noch mehr oder etwas explizites, das euch geholfen hat?


Dina: Wir lassen uns von Vordenker*innen und Autor*innen inspirieren. Also um Strukturen aufzubrechen und Denkmuster zu verlernen, viele feministische Autor*innen lesen und niemals damit aufhören! Es ist auch wichtig, Störungen, Ärger und Unwohlsein ernst zu nehmen und darüber ins Gespräch zu kommen. Diesen ersten Impuls von “Hier ist etwas komisch, etwas stimmt mit mir nicht" umzukehren in “Hier ist etwas komisch, mir fällt etwas auf und das nehme ich erst mal ernst.” Ärger und Störmoment ernst zu nehmen, ist auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, in das Hinterfragen, Sichtbarmachen und Aufbrechen zu kommen. Wenn in einer Gruppe eine gemeinsame Irritation geteilt wird, können Strukturen ein Stück weit dekodiert werden. Miriam hat auch was Tolles initiiert, vielleicht möchte sie das selbst teilen.


Miriam: Ich glaube, das Wichtigste ist, sich überhaupt über die eigenen Lücken bewusst zu sein oder in dem Prozess des Weiterlernens immer wieder zu merken, wo noch Wissen fehlt. Während Corona habe ich einen Hörkreis zum Thema Rassismus initiiert. Ich habe einfach gemerkt, dass ich darüber und über meine eigenen Privilegien viel zu wenig weiß. So habe ich mit anderen gemeinsam Bücher zu diesem Thema angehört, wie beispielsweise “Exit Racism” [von Tupoka Ogette]. Dabei haben wir uns viel zu Praktiken ausgetauscht: Wie gehst du denn damit um, wenn das und das passiert? Was waren deine Erfahrungen damit? Dieses Teilen des eigenen Lernprozesses und von Fragen ist sehr wertvoll - genauso wie sich verletzlich zu machen, indem eine Person sagt: “Ich weiß da zu wenig” oder “Ich habe mich nicht getraut, in der Situation etwas zu sagen. Was hättest du getan und hast du vielleicht einen Tipp für mich?” Es ist so wichtig einen Raum für einen ganz persönlichen Austausch zu schaffen - einen wertschätzenden und fürsorglichen Raum, in dem sich Menschen dann auch trauen zu sagen, wenn sie etwas nicht wissen oder noch keinen Umgang damit gefunden haben. Letztendlich sind Themen wie Rassismus und Patriarchat so große Themen und wir werden ein Leben lang dazulernen und es ist viel schöner, wenn wir das gemeinsam tun.


Tristan: Danke. Wir haben jetzt viel über Zusammenarbeit gesprochen. Welche Potenziale stecken für euch in dieser?


Miriam: Was glaube ich noch ein Punkt war, den wir an Zusammenarbeit spannend finden, ist, dass sich eine ganz andere Kraft entwickeln kann, wenn in Kollektiven gearbeitet wird. Durch das sich miteinander Verbünden können Strukturen aufgebrochen werden, Konkurrenz und auch Leistungsdruck ausgeklammert oder überwunden werden. Das sehen wir auch in unserer eigenen Zusammenarbeit, wenn wir eine kollektive Kraft entwickeln und Einzelne über ihre Grenzen - im positiven Sinn - hinauswachsen und Dinge möglich machen, die sie sich alleine nicht zugetraut hätten. Eine transformative Kraft, die in der Zusammenarbeit steckt.


Tristan: Ihr sprecht über feministische Zusammenarbeit, man könnte vielleicht auch emanzipatorische Zusammenarbeit sagen, und ich glaube, das ist dann auch einfach diese Trennlinie, die man da vielleicht ziehen oder so ein bisschen schärfen kann.
Jule, magst du mit der letzten Frage weitermachen?


Jule: Ja, die Frage: Was ist eurer Verständnis von Koexistenz? Ihr habt dazu eine Map vorbereitet, vielleicht könnt ihr kurz den Entstehungsprozess vorstellen.


Miriam: Wir haben letzte Woche im Kollektiv ein Mapping zum Thema Koexistenz gemacht. Dabei haben wir gemerkt, es gibt so unterschiedliche Konnotationen, dass wir diese gar nicht in einer Antwort formulieren können. So ist dann dieses Mapping entstanden:


Jule: Dann hätten wir nur noch eine allerletzte Frage: Was motiviert euch oder gibt euch Hoffnung bei eurer Arbeit?


Dina: Ja, eigentlich ist es wie eine Zusammenfassung von dem, was wir schon beantwortet haben. Also, was mich persönlich als Dina motiviert, in diesem Kollektiv zu sein, ist der gemeinsame Austausch und zu spüren, dass wir als Gruppe wirkmächtig sind und dass es so gut passt zwischen uns. Mich motiviert unsere Struktur, die uns Sicherheit bietet. Das heißt, wenn Plenum ist und ich pack’s nicht, dann sage ich das klar und muss keine Ausreden finden und dafür ist immer Raum. Wir sind eben nicht nur einer Funktion entsprechend im Kollektiv sondern auch als ganzer Mensch, samt Kopf, Bedürfnissen und Körper. Diese Sicherheit, sich und die eigenen Denkweisen nicht ständig verteidigen zu müssen, sondern ein gemeinsames Verständnis und Anliegen zu teilen, ist kraftgebend in diesen fucked-up times und Patriarchat-Zerstörungs-Wünschen. Vielleicht magst du noch was dazu sagen, Miriam?


Miriam: Ich kann mich da nur anschließen. Ich glaube, es geht vielen so, dass sie angesichts dieser globalen Krisen ein Ohnmachtsgefühl empfinden. Und da merke ich, dass mir das Kollektiv eine Stärke gibt. Es ist ein Raum, in dem wir das alles teilen. Ich muss nicht argumentieren, warum ich irgendwas schlimm finde oder das als Krise sehe, sondern wir sind auf einem gemeinsamen Nenner und haben dadurch eine ganz andere Art, mit dieser Ohnmacht direkt umzugehen - uns gegenseitig zu bestärken oder auch einfach gemeinsam verzweifelt zu sein. Gleichzeitig merken wir, dass wir doch ein bisschen was bewirken können, auch wenn es nur ganz, ganz kleine Veränderungen sind - dass eine Wirkmacht entsteht, wenn wir im Kollektiv sind. Und, wie Dina schon gesagt hat, schätze ich unsere Strukturen sehr, die so sorgend sind. Es ist so schön, gemeinsam zusammenzuarbeiten, mit dem Gefühl von Sicherheit und Aufgehobensein. Wir sind alle Freundinnen im Kollektiv, das muss ich auch dazu sagen. Wir verbringen einfach unglaublich gern Zeit miteinander. Und wenn wir dabei dann noch über feministische Themen diskutieren, umso besser.


Dina: Da würde ich gern nochmal kurz einhaken. Das Spannende an unserer Kollektivarbeit ist natürlich auch, dass wir durch unser eigenes Tätigsein und Verknüpfungen mit anderen - manchmal auch durch Zufall - von Menschen und Projekten erfahren, die an ähnlichen Themen oder in ähnlichen Strukturen zusammenarbeiten - so wie beispielsweise euer Magazin oder das Haus des Wandels, in dem Pauline aus unserem Kollektiv arbeitet und wohnt. Sich davon inspirieren zu lassen und sich gemeinsam auszutauschen, tut gut. Zu wissen, es gibt diese Orte, es gibt diese Gruppen, es gibt diese Bubbles - wir sind nicht alleine -, ist immer eine große Motivation für uns.


Jule: Diese Phasen haben wir auch immer wieder, dass man so denkt: “Wow, die gibt es auch noch” und “Hey, darüber haben sich andere auch schon Gedanken gemacht!”


Tristan: Man merkt auch in solchen Gesprächen wie jetzt: Wir haben euch gerade erst kennengelernt, wir sprechen mit euch beiden und so vieles scheint anschlussfähig zu sein. Und man hat irgendwie das Gefühl, da ist eine gemeinsame Basis, auf der man aufbauen und sich gut verständigen kann. Das ist echt spannend. Vielen Dank für das Gespräch!